„Vielleicht ist es ja das, was man im Leben sucht, nur das, den größten möglichen Kummer, um man selber zu werden, bevor man stirbt“ („Voyage au bout de la nuit“).
Kurt Koma:
Célines „Reise ans Ende der Nacht“ ist eine Abrechnung mit dem Menschsein an sich. Der Mensch und die Gesellschaft, die ihn umgibt, werden als determiniert-boshaft und niedrig dargestellt. Céline verarbeitet in seinem Roman seine eigenen Erlebnisse, seinen von Krankheit gekennzeichneten Aufenthalt in Afrika, oder seine Meldung als Freiwilliger zur Zeit des Ersten Weltkriegs, dessen Ende er psychisch traumatisiert, als Weichling und Vaterlandsverräter diffamiert, in der Psychiatrie verbringt. Fast überall begegnet ihm nur Verschlagenheit, Armut und Tod. Er entwirft das Bild einer kaputten Gesellschaft, deren Hauptmerkmal der Egoismus und deren alles durchdringendes Prinzip die Boshaftigkeit ist.
Diese negative Determiniertheit, mit der er unser Leben beschreibt, wird nur an einer Stelle des Romans durchbrochen, als er in den USA einer Prostituierten begegnet, die ihn bedingungslos liebt. Obwohl er sich dieser Liebe bewusst ist, setzt er, sich selber nicht verstehen könnend, seine Reise ans Ende der Nacht fort. Sein Unverständnis angesichts seiner eigenen Natur und seiner Entscheidung weiter ziehen zu müssen gibt er in dem eingangs genannten Zitat wieder.
Célines Fazit gegen Ende des Romans, er selber sei böse, ist das traurige Eingeständnis, dass die Welt uns mit ihrer grotesken Bosheit, trotz unseres Bemühens, uns dem Guten zuzuwenden, zwangsläufig zu widerwärtigen Kreaturen macht.
In den ganzen 600 Seiten lässt sich seine verbitterte Enttäuschung über den Menschen spüren, die sich später in einen Hass auf alles Jüdische tranformierte. Célines Antisemitismus, der in seiner radikalen Form erst Jahre nach dem Erscheinen der „Reise“ zu Tage trat, hat m. E. einen psychotischen Charakter, der nicht ohne die Lektüre der „Reise“ verstanden werden kann. Ihm – einem Menschen, der bis zu seinem Tod als Armenarzt in Paris arbeitete – pauschal Menschenverachtung zu unterstellen, ist zu einfach gedacht. Einen konkret Schuldigen für die menschliche Misere auszumachen war für ihn aus einer geistigen Schwäche heraus auf Dauer vermutlich bequemer und vor allem einfacher zu ertragen, als die Ursache in der menschlichen Natur zu sehen.
Marco:
Céline, écrivain maudit par excellence, est avant tout l'un des plus grands génies de la littérature française. Comme tu as pour moi parfaitement résumé le Voyage, j'aimerais rebondir sur l'antisémitisme de Céline (qui comme tu le précises fort justement n'est pas présent dans le Voyage) comme conséquence psychotique de sa déception vis-à-vis de l'humanité. On peut trouver les mêmes raisons à l'engagement pro-nazi de Drieu La Rochelle, autre grand écrivain français: tout comme le Voyage au bout de la nuit, Gilles est une oeuvre sur la découverte de l'homme et du dégoût progressif que le genre humain inspire à l'auteur. La recherche d'idéaux nouveaux, le rejet des démocraties hypocrites et responsables de l'hécatombe de la première guerre mondiales, la recherche de valeurs autres que celles de l'argent conduiront Drieu vers le communisme puis le fascisme et finalement à sa perte. Tout comme son héros dans le "Feu follet" (d'ailleurs magnifiquement mis en scène par Louis Malle), Drieu met fin à ses jours en 1945.
Kurt Koma:
« Les juifs, racialement, sont des monstres, des hybrides, des loupés tiraillés qui doivent disparaître. [...] Dans l’élevage humain, ce ne sont, tout bluff à part, que bâtards gangréneux, ravageurs, pourrisseurs. Le juif n’a jamais été persécuté par les aryens. Il s’est persécuté lui-même. Il est le damné des tiraillements de sa viande d’hybride. » (L’Ecole des cadavres, Paris, Denoël, 1938, p. 108).
Erstaunlich, dass sich die Biographien von Drieu de la Rochelle und Céline so ähneln. Beide waren enttäuschte Idealisten, die sich intellektuell irgendwann ins totale Abseits bewegt haben. Beide zuerst Kommunisten, dann Faschisten. Bei Céline muss der Umschwung nach seiner Russlandreise gekommen sein, von der er so maßlos enttäuscht war, dass er mit „Mea Culpa“ ein anti-kommunistisches und antisemitisches Pamphlet veröffentlicht hat. Den Antisemitismus hat er meiner Meinung nach schon immer in sich getragen, ich erinnere mich da einer Passage in der Reise, wo er abwertend von „jüdischer Niggermusik“ geschrieben hat. Die Entwicklung seines radikalen, fast psychotischen Antisemitismus fiel aber wohl erst mit seiner Enttäuschung über die sowjetischen Verhältnisse zusammen.
Hier noch ein wirkliches Paradox: Vorhin habe ich mir die französische Wikipedia-Version über Céline durchgelesen, wo zwei seiner medizinischen Aufsätze besprochen werden. In einem lobt er unter anderem den Fordismus, den er ja in die Reise so sehr kritisert!, und in dem anderen fordert er so eine Art „police médicale“, die in den Unternehmen für die „rectification intellectuelle“ der Arbeiter zuständig sein sollte. Diese Artikel datieren scheinbar von 1928 (die Reise erschien 1932). Eine Erklärungsmöglichkeit ist, diese Artikel als Verarsche zu lesen – eine andere wäre vermutlich, Céline den Verstand abzusprechen, da sich ein derartiger geistiger Wandel, zu dem er ja theoretisch fähig war, was seine Drehung vom Kommunismus zum Faschismus beweist, einfach meiner Vorstellungskraft entzieht.